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Das Masakker auf der Elbbrücke

Die Vertreibung

Das Masakker auf der Elbbrücke

Im deutschen Erinnern an die Vertreibung ist der Ortsname Aussig (Ústí nad Labem) zum Symbol nicht nur für die Ereignisse vom 31. Juni 1945, die als „Aussiger Massaker“ bekannt sind, sondern auch „der Pogrome des Jahres 1945“[1]. Im deutschen Erinnern an die Vertreibung gehört „Aussig“ neben „Nemmersdorf“ und „Brünn“ zu den bekanntesten Symbolen überhaupt.

Schon in der sudetendeutschen Dokumentation der Vertreibung aus dem Jahre 1951 konnte man über die vermeintlich in Aussig kursierenden Berichte erfahren: „In Aussig

Dokumentation vom
Altvaterturm
am Wetzstein

schätzte man die Gesamtzahl der auf solche Weise ums Leben Gekommenen auf 800 bis 1000.“[2] In der achtbändigen Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa[3] wurden die vermeintlich mündlich überlieferten Zahlenangaben erhöht:

„So wurde eine am 31. Juli 1945 wahrscheinlich durch Unachtsamkeit ausgelöste Explosion eines Munitionslagers in dem Aussiger Vorort Schönpriesen von den Tschechen als eine Sabotageaktion des Wehrwolfs ausgelegt. Die aufgehetzte Menge veranstaltete daraufhin ein Blutbad unter der deutschen Bevölkerung, griff sie auf den Straßen oder holte sie aus den Wohnungen und machte sie nieder. Als die Arbeiter der Firma Schicht A.G. nach Arbeitsschluß über die Elbebrücke zu ihren Wohnungen strömten, wurden sie von einer fanatischen Menge auf der Brücke zusammengeschlagen, z.T. niedergemacht oder in die Elbe geworfen. Selbst vor Frauen und Kindern machte das Mob nicht halt. Polizei und tschechisches Militär versuchten nicht, das Morden zu verhindern, sondern beteiligten sich sogar daran. Die genaue Zahl der Opfer wird sich nie ermitteln lassen. Die Angaben schwanken zwischen 1000 bis 2700.“[4]

Somit wurde die bundesdeutsche Öffentlichkeit mit einem speziellen Labyrinth von Bildern und Zahlen konfrontiert, in dem sich nur die wenigsten bis heute orientieren können:

„Es gibt freilich die fürchterliche Erinnerung an den „Blutsonntag von Aussig“, an den 31. Juli 1945, wo ein Truppenteil der tschechoslowakischen Legion, nach unbekannter Vorgeschichte seines Weges von Rußland her über den Dukla-Paß ins westliche Böhmen, nach einer offensichtlich inszenierten Explosion in den Industrieanlagen am Stadtrand von Aussig in der Innenstadt, besonders rund um die Elbebrücke, ein fürchterliches Massaker veranstaltete. Die Bilanz des Todes ist offen bis heute: 300 oder das Zehnfache davon?“[5]

„In Aussig an der Elbe wurden bei dem Pogrom vom 31.7.1945 innerhalb einiger Stunden rund 2000 Menschen erschlagen“.[6]


Inschrift an der Brücke

„Straflos blieb auch der Massenmord in Aussig am 31. Juli. Er ist wahrscheinlich von Prag aus provoziert worden, eventuell um die Verhandlungen in Potsdam zu Gunsten einer schnellen Vertreibung zu beeinflussen. Denn es dauerte nur wenige Sekunden, bis nach der Explosion eines Munitionsdepots, die die tschechoslowakische

Regierung sofort den deutschen Saboteuren zuschrieb, ortsfremde Tschechen an drei verschiedenen Stellen zwischen 80 und 100 Deutsche, die ja durch ihre Armbinden leicht zu erkennen waren, erschossen, unter anderem auf der Elbbrücke, von der einige hinuntergestürzt wurden.“[7]

Im Jahre 2001 ist in München ein 571 Seiten umfassendes Buch des sudetendeutschen Historikers Otfried Pustejovsky „Die Konferenz von Potsdam und das Massaker von Aussig am 31. Juli 1945: Untersuchung und Dokumentation“ erschienen. Es ist die erste umfassende deutsche Untersuchung der Ereignisse von Aussig und deshalb ein bemerkenswerter Beitrag zum Erinnern an die Vertreibung.

Pustejovsky prüfte alle seit über einem halben Jahrhundert kursierenden Informationen und   stellte folgendes fest: Die „in verschiedenen Publikationen teilweise geradezu massenhaft-hohen Zahlenangaben von bis  nahezu 3000 Toten“ haben „keinen ernst zu nehmenden Aussagewert“[8].

Genaues könne man heute nicht feststellen, aber die sorgfältige Schätzung von Pustejovsky führte zur folgenden Schlußfolgerung: Zu den ums Leben gekommenen gehören „etwa 60 von den tschechischen Ermittlern angegebene Tote; hinzu kommen 24 Tote der Verbrennung, etliche Opfer vom Bahnhofsplatz und den umliegenden Gäßchen sowie einige Tote von Feuerlöschteich, ein namentlich bekannter Erschossener (Schörghuber), so daß von rund 100 Opfern des Aussiger Massakers gesprochen werden kann.“[9]

Pustejovsky korrigierte aber auch einen weiteren Irrtum: die Vorstellung, daß die Bilder vom Aussiger Massaker repräsentativ für die Lebensbedingungen der Deutschen in der Nachkriegstschechoslowakei seien: „Da offenkundig nur ein kleinerer Teil der noch in der Stadt lebenden Deutschen betroffen war, kann man dieses Massaker nicht auf die Gesamtheit der Aussiger Deutschen beziehen.“(S. 86) Darüber können die in Aussig verübten Verbrechen nicht der tschechischen Bevölkerung von Aussig zu Last gelegt werden: „Es steht auch weitgehend fest, daß sich ortsansässige Tschechen am Pogrom nicht beteiligten“ (S. 208), bestätigte Otfried Pustejovsky die Forschungsergebnisse tschechischer Historiker.


Pustejovsky konkrete Darstellung der Ereignisse von Aussig ergibt folgendes Bild: Das Massaker ereignete sich am 31. Juli 1945, als in Aussig aus unerklärter Ursache ein nicht sorgfältig bewachtes großes Depot mit Kriegsmunition explodierte, umliegende Wohnhäuser in Brand setzte und mindestens zwei Dutzend Menschen tötete. Zeitgleich mit der ersten Explosion,

Die Brücke trägt den Namen
des Vertreiberpräsidenten Benesch

„pünktlich um 15.30 oder 15.31 Uhr an vier verschiedenen Stellen der Innenstadt“ (S. 2029, brachen Ausschreitungen gegen die Deutschen im Stadtzentrum aus. Pustejovsky konnte nicht ermitteln, wer für die Explosion und für die Ausschreitungen verantwortlich war, und es sei merkwürdig, bemerkt er, „daß nur wenige deutsche Opfer namentlich benannt wurden, und zu keinem Zeitpunkt auch nur ein einziger tschechischer Täter namentlich identifiziert worden ist.“[10] Angesichts der detaillierten Schilderung von Pustejovsky über die große Zahl ortsfremder und zum Teil bewaffneter Menschen, die damals in Aussig anwesend waren, scheint der Mangel an vorliegenden Informationen verständlicher, als er unter normalen Verhältnissen wäre:

„In der Stadt befanden sich an diesem Tag neben der relativ geringen Zahl alteingesessener tschechischer Bevölkerung eine nicht genauer bestimmbare Zahl von tschechoslowakischen Armeeangehörigen, neu hinzugezogenen Glücksrittern aus dem Landesinneren, Mitgliedern der offiziell zwar längst aufgelösten, de facto aber weiterbestehenden paramilitärischen Revolutionsgarden, Rotarmisten und eine bis heute nicht näher bestimmbare Anzahl von Personen in Zivilkleidung, die nach unterschiedlichen Aussagen entweder unmittelbar aus [der benachbarten Stadt, Vf.] Leitmeritz oder über Leitmeritz von Prag aus mit einem Morgenzug in die Stadt Aussig gekommen waren.“ (S. 203)

Es kann auch nicht festgestellt werden, was genau geschehen war. An manchen Orten war nicht auszumachen, „was sich wie und wo genau zugetragen hatte, denn den Explosionen folgten erst mit einiger Verzögerung dunkle Rauchwolken“ (S. 87). An einem Ort „tat sich ein etwa 50-jähriger, kahlköpfiger, sehr robust gebauter tschechischer Mann in Zivilkleidung hervor; nach übereinstimmenden Zeugenaussagen ist es der bis heute einziger beschreibbare Täter. Mittels einer Holzstange oder eines Holzknüppels und mit seinen blanken Fäusten streckte er innerhalb weniger Minuten mehrere Personen nieder, während er – ebenfalls den Aussagen nach – fortlaufend brüllte: ‚Daran sind die Deutschen schuld!‘ Es war jedoch nicht erkennbar, worauf sich seine Anschuldigungen konkret bezogen.“ (S. 87) Am schlimmsten waren die Menschen auf der Brücke und dem Brücken-Vorgelände betroffen, auch hier „ohne Sichtkontakt und damit ohne annährende Beurteilungsmöglichkeit“, wie Pustejovsky feststellte.

Die gängigen Bilder des schrecklichen Geschehen an der Brücke korrigierte Pustejovsky auch im folgenden Detail: „Dabei wurde auch – entsprechend deutschen und tschechischen Zeugenaussagen – eine deutsche Frau mit Kinderwagen und darin liegendem Säugling in die Elbe geworfen und dann auf sie geschossen, bis sie offenkundig unterging; Angaben, daß es sich um ‚zahlreiche Frauen‘ mit vielen Kinderwagen gehandelt habe, finden jedoch nach sorgfältiger Prüfung keine Bestätigung.“(S. 87-88) Nach „eineinhalb bis zwei Stunden“ (S. 207) stellte die Polizei Ordnung wieder her. (S. 240)

Aus dem Gesamtbild des Massakers schließt Pustejovsky, „daß die an den vier verschiedenen Stellen gleichzeitig begonnenen, nach vergleichbarem Muster durchgeführten und in dieselbe Richtung zielenden Verfolgungsmaßnahmen gegen Deutsche von in die Stadt Aussig eingeschleusten Schlägertrupps auf Weisung hin durchgeführt wurden.“ (S. 88) Er glaubt, den eigentlich Verantwortlichen aufgespürt zu haben: jenen ehemaligen Gestapo-Konfidenten, der am 26. April 1945 in Brünn der Kommunistischen Partei beigetreten war, am 20. Mai 1945 in Brünn erlassenen „Vorläufigen Richtlinien zur Behandlung Deutscher“ unterzeichnete und unter dessen Kommando auch die als Brünner Todesmarsch bekannte Vertreibung von 20 000 Deutschen aus Brünn stattgefunden hat - Bedrich Pokorný (S. 242). „Es kann heute mit beinahe an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden: Stabshauptmann Pokorný als Stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung ‚Z‘ im Ministerium des Inneren organisierte in Absprache mit der Nachrichtenabteilung im Ministerium für Nationale Verteidigung mit Wissen bzw. auf Anordnung beider Minister die Explosion in Aussig und die anschließenden pogromartigen Ausschreitungen gegen Deutsche“ (S. 275)

Otfried Pustejovsky bestätigt die älteren historische Forschungen, daß das Aussiger Massaker kein spontaner Ausbruch von Haß oder Rachelust unter der tschechischen Bevölkerung war, sondern eine geheimdienstlich-militärische Inszenierung, die weitgehend ohne die Beteiligung der einheimischen Bevölkerung erfolgte. Darüber, wie genau und warum dieser brutale Gewaltakt organisiert wurde, liegen bisher mangels Informationen keine Erklärungen vor, und somit kann selbst der Kenner Pustejovsky nur spekulieren. Sein Verdienst ist jedoch, alle heute bekannten Informationen kritisch geprüft und gängige Legenden widerlegt zu haben.

Es gibt aber auch weitere Gründe, warum es unzutreffend ist, die tragischen Ereignisse von Aussig als einen vermeintlichen Ausdruck tschechischer antideutscher Ressentiments zu kollektiv formulierten Anklagen gegen die tschechische Nation zu instrumentalisieren. Nicht nur, daß uns widersprechende Berichte über die Haltungen der tschechischen Bevölkerung vorliegen. Es ist auch belegt, daß selbst während des Massakers das Geschehen mit Entsetzen wahrgenommen wurde. So berichtete etwa der sudetendeutsche Augenzeuge Alois Ullmann darüber, wie „der damalige tschechische Bürgermeister von Aussig, Herr Vondra, mit allen Mitteln versuchte, dem Wüten des zugereisten Mobs Einhalt zu gebieten, er wäre deshalb beinahe ebenfalls in die Elbe geworfen worden.“[11] Auch über seinen einen Monat später, am 31. 8. 1945, erfolgten Besuch in Prag berichtete Ullmann später: „Ich hatte den Eindruck, daß bei den Prager Amtsstellen große Verlegenheit über die Vorgänge in Aussig herrschte“.

[1] Sudetenpost 23. 3. 2006
[2] Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen, hg. v. Arbeits­gemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen, ed. Wil­helm Turnwald, München 1951, S. 124
[3] Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, 8 Bde., Deutscher Taschenbuch Verlag München, 2004 (DdV)
[4] DdV Bd.4/I, S. 71f.
[5] Seibt, Ferdinand: Deutschland und die Tschechen. Geschichte einer Nachbarschaft in der Mitte Europas, Aktualisierte Neuausgabe, München-Zürich 1997, S. 353f. (1. Aufl. 1979)
[6] Heinz Nawratil: Schwarzbuch der Vertreibung 1945 bis 1948. Das letzte Kapitel unbewältigter Vergangenheit, 10. Aufl., München 2001, S. 35
[7] Detlef Brandes: Vertreibung und Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, in: Flucht, Vertreibung, Integration 2005, S. 63-73, hier S. 70
[8] Pustejovsky 2001, S. 207
[9] Pustejovsky 2001, S. 208
[10] Pustejovsky 2001, S. 198
[11] Pustejovsky 2001, S. 316 zitiert nach Dokumente zur Austreibung des Sudetendeutschen, Nr.1, S. 121-123

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